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ZUR AUTORIN

Jenny Tinghui Zhang ist eine chinesisch-amerikanische Autorin. Sie hat an der University of Wyoming studiert, in mehreren Zeitschriften veröffentlicht und für ihr Schreiben mehrere Stipendien erhalten. Sie wurde in Changchun, China, geboren und ist in Austin, Texas, aufgewachsen, wo sie auch heute lebt. Fünf Leben ist ihr Debütroman.

Foto: Mary Inhea Kang

Liebe Buchhändlerinnen
und Buchhändler,

wann immer ich in einer mir noch unbekannten Stadt bin, besuche ich dort eine Buchhandlung. Nicht nur weil ich Buchhandlungen liebe, sondern auch weil es keinen anderen Ort gibt, der mir sofort so vertraut erscheint und an dem ich mich sicher und geborgen fühle. Vor einigen Jahren gab es eine Zeit, in der ich nicht wusste, ob ich je wieder schreiben würde. Auf einem Event der BookPeople in Austin, Texas, lernte ich Hanya Yanagihara kennen. »Schreib weiter«, riet sie mir. »Du wirst es schaffen.«

Zu Fünf Leben inspirierte mich ein wahres Ereignis – 1885 wurden fünf Chinesen in Idaho aufgrund der Behauptung, sie hätten einen weißen Geschäftsbesitzer ermordet, von einer Bürgerwehr gelyncht. Als ich mit dem Roman begann, wusste ich nur wenig über die entsetzliche Gewalt gegenüber der chinesischen Bevölkerung, die in den USA von der Mitte bis zum Ende des 19. Jahrhunderts grassierte. Davon hatten wir im Geschichtsunterricht nie etwas gehört. Erst in einem Einführungskurs zu Asian-American-Studies in meinem letzten Jahr an der Universität erfuhr ich vom Chinese Exclusion Act von 1882 und den Gräueltaten, die letztendlich zu diesem Gesetzerlass geführt hatten. Warum, hatte ich mich gefragt, wurde nicht mehr über die Gewalt gegen asiatischstämmige Amerikaner und deren Ausgrenzung in der Historie der USA gesprochen?

Ich beendete den ersten Entwurf dieses Romans im Frühjahr 2020, gerade als COVID-19 sich im Land ausbreitete und der damalige Präsident manipulative, rassistische Namen wie »Kung Flu« oder »Chinesischer Virus« gebrauchte. Angriffe gegen die asiatische

Bevölkerung in den USA nahmen in beängstigendem Maß zu. Ältere Menschen unserer Gemeinschaft wurden niedergestochen, niedergeschlagen und bespuckt. Im März dieses Jahres drang ein Bewaffneter in einen Spa in Atlanta ein und erschoss acht unschuldige Menschen, sechs von ihnen waren asiatisch-stämmige Frauen. Auch jetzt, während ich diesen Brief schreibe, höre ich von weiteren Übergriffen in New York, Baltimore und San Francisco.

Im Moment, das muss ich gestehen, habe ich Angst. Ich sehne mich nach der Erleichterung und Sicherheit, die sich mit dem Wissen einstellt, dazuzugehören, aber ich befürchte, dass ich das nicht mehr erleben werde. Und deshalb mache ich das, was ich kann: Geschichten erzählen. Nicht nur von den fünf Chinesen, die erhängt wurden, sondern von allem – den Gesetzen, Taktiken und den Mitläufern, die solch einen Vorfall und so viele andere ermöglichten und uns letztendlich dahin führten, wo wir heute sind.

Meine Hoffnung ist, dass dieses Buch die Geschichte der Gewalt gegen die chinesische Bevölkerung in den USA aus der Forschung und Wissenschaft heraus in unser kollektives Gedächtnis trägt. Dass wir uns erinnern.

Ich danke allen, die diesen Roman lesen. Ich danke denen, die Bücher lieben, sich für Bücher einsetzen und dafür sorgen, dass Buchhandlungen sich wie Heimat anfühlen.

Jenny

BÜCHER DER AUTORIN